09.11.2016

Panik und ungläubiges Staunen

Die USA unter einem Präsidenten Trump. Ein Stimmungsbild aus Washington D.C. am Tag nach den Wahlen

 

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Nun ist das Undenkbare eingetreten. Donald Trump wird nächster US-Präsident. Wie ist die Stimmung im Land?

Noch können die meisten Amerikaner nicht wirklich fassen, was in dieser Wahlnacht tatsächlich passiert ist. Reine Panik bei den Demokraten und ungläubiges Staunen sowie Freude auf Seiten der Republikaner. Ein Kandidat wie ihn das Land noch nicht gesehen hat, der jede Regel missachtet, der auf Ratschläge von Medienprofis und Umfragegurus pfeift und es dem Establishment mal so richtig zeigt – das ist ganz nach dem Geschmack seiner Wählerinnen und Wähler. Eine gut geölte demokratische Wahlmaschine, gelenkt von perfektionierten Computerprogrammen, programmiert von den besten Experten, die Geld kaufen kann, hat die Stimmung im Land nicht erkannt.

Entsetzt sind wohl viele Amerikaner über den Abgrund, in den sie viele Monate blicken mussten. Die bereits seit Jahrzehnten sichtbare Spaltung der Gesellschaft wurde durch Trump weiter vertieft, Risse ziehen sich in jedem Bundesstaat durch Nachbarschaften, Facebook-, Twitter- und WhatsApp-Gruppen, selbst durch Familien gehen die Gräben. Noch nie in der jüngeren Geschichte hat ein Politiker und ein Wahlkampf die Nation so gespalten und war damit sogar erfolgreich.

Viele Amerikaner, vor allem in den Swing States, werden wohl auch erleichtert sein, dass dieser irre Wahlkampf endlich vorüber ist. Befeuert durch die beiden Kampagnen und die Political Action Committees (PAC/ Super PAC) wurden Milliarden in Fernseh- und Radiowerbung, in die sozialen Medienkanäle und in große Wahlkampfapparate gesteckt. Da haben sich die zwei unbeliebtesten Kandidaten der jüngeren Geschichte ein hartes Rennen geliefert, in dem Donald Trump sich in der Rolle des Außenseiters gefiel, keine Form und Konvention respektierte und demokratische Gepflogenheiten und Gewissheiten einfach niedertrampelte.

 

Wer hat für ihn gestimmt? Wie hoch war die Beteiligung?

Die genaue Auswertung der Wählerbewegungen wird sicher einige Zeit dauern. Was man bereits feststellen kann, ist, dass Trump mit seinem robusten Politikstil genau die Wählerschichten erreicht, die ihm für einen Sieg genügt haben. Weniger gebildete, weiße Wähler aus vor allem ländlichen Gebieten machen einen großen Teil seiner Wählerschaft aus. Die professionellen Umfrageinstitute haben die starke emotionale Botschaft Trumps völlig unterschätzt und sich vor allem auf ihre mathematischen Modelle verlassen. Dies hatte Auswirkungen auf die Ausrichtung des Wahlkampfs der Demokraten, während der Instinktpolitiker nicht auf seine Berater hörte, sondern intuitiv die richtigen Themen an den richtigen Orten in einer sehr einfachen und verständlichen Sprache präsentierte. Vor allem aber konnte Trump den ganzen Ärger und die aufgestaute Enttäuschung vieler Menschen kanalisieren.

Allgemein war die Wahlbeteiligung wie immer bei Präsidentschaftswahlen höher und wird nach derzeitigen Schätzungen bei weit über 50 Prozent liegen und vielleicht auch die Obama- Ergebnisse übertreffen.

Die Stimmen der Afroamerikaner konnten nicht in dem Maße mobilisiert werden, wie dies noch Präsident Obama gelungen ist.

Grundsätzlich wählen Jüngere, Gebildetere, Frauen und  Minderheiten die Demokraten. So wählten sowohl Latinos als auch Millennials  zwar mehrheitlich Hillary Clinton, aber eben auch zu je etwa einem Drittel Donald Trump. Die Stimmen der Afroamerikaner konnten nicht in dem Maße mobilisiert werden, wie dies noch Präsident Obama gelungen ist. Trotz einer frühen Stimmabgabe und einer massiven Briefwahlkampagne in vielen Bundesstaaten hat die größte Wählergruppe der Weißen ganz klassisch die Wahl am Wahltag an der Urne entschieden.

Die einzelnen Wählergruppen haben ihr Wahlrecht aber durchaus unterschiedlich genutzt. Weiße sind mit Abstand die größte und aktivste Wählergruppe: Mehr als 70 Prozent gingen diesmal zur Wahl. Durch die Hasstiraden Trumps aufgeweckt sind diesmal wesentlich mehr der wahlberechtigten Latinos zur Urne gegangen. Die Erwartungen einer etwas schwächeren Wahlbeteiligung der Afroamerikaner haben sich nach derzeitigen Angaben bestätigt, während die Gruppe der Millennials (Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren) mit ihren 69,2 Mio. Wahlberechtigten nur unterdurchschnittlich zur Wahl gegangen sind. Grund war sicher auch, dass die für Millennials wichtigen Themen wie Bildung und ihre Bezahlbarkeit, soziale Gerechtigkeit und Klimawandel im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle spielten. Frauen haben zu 54 Prozent Clinton gewählt.

 

Wird Trump sich nun als Präsident mäßigen und eine Republikanische Agenda verfolgen oder so unberechenbar bleiben wie während des Wahlkampfs?

Viele Republikaner haben sich während des Wahlkampfs von ihrem Spitzenkandidaten distanziert, manche sogar angekündigt, nicht für ihn zu stimmen. Der Sprecher der Abgeordnetenhauses, Paul Ryan, war eine der großen Kritiker und wird in Zukunft mit ihm zusammenarbeiten müssen.

Allerdings wird die Aussicht, viele Republikanische Inhalte mit einer Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses durchsetzen zu können, die Republikaner sicher relativ schnell wieder zusammenführen. Eines der wichtigsten Projekte der Republikaner ist die Neubesetzung des freien Sitzes im Supreme Court. Hier wird ganz sicher ein konservativer Kandidat gefunden werden, der die Balance des obersten Gerichts für viele Jahre verschieben wird. Trump will zudem an seinem ersten Arbeitstag Obama Careabschaffen. Wodurch er diese Krankenversicherung ersetzt will, hat er noch nicht enthüllt.

Ob Trump den Versuch macht, die Wunden des Wahlkampfs zu schließen und die Hand in Richtung Demokraten auszustrecken, ist offen. 

Ob Trump den Versuch macht, die Wunden des Wahlkampfs zu schließen und die Hand in Richtung Demokraten auszustrecken, ist offen. Ein wichtiges Signal der kommenden Tage wird die Bereitschaft beider Kandidaten sein, sich nach den Wahl zu treffen und die Hand zu schütteln.

Trump wird in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft ein großes Infrastrukturprogramm auf den Weg bringen wollen. Dies ist seit Jahren überfällig und über die Parteigrenzen hinweg unumstritten. Dies könnte die Handlungsfähigkeit der Regierung und des Kongresses demonstrieren und Jobs – nicht zuletzt für die weniger qualifizierten Verlierer der Globalisierung – schaffen. Ob dadurch allerdings die grundlegende Identitätskrise der von Globalisierung, technologischer Entwicklung und Strukturwandel abgehängten Teile der Bevölkerung überwunden werden kann, scheint fraglich. Viele dieser Menschen sind sozial ausgegrenzt, kulturell verarmt, von Drogenproblemen gezeichnet und zutiefst verunsichert. Donald Trump hat ihnen Versprechen gemacht, die er wohl nicht halten kann.

 

Wie wirkt sich das Wahlergebnis auf den Kongress aus?

Wie zu erwarten haben die Republikaner die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigt, was ihnen die Möglichkeit geben wird, wichtige Gesetze sehr schnell zu verabschieden. Zusammen mit der gehaltenen Mehrheit im Senat bündeln die Republikaner die komplette politische Gestaltungsmacht und werden sie in den kommenden zwei Jahren in ihrem Interesse nutzen.

 

Wie werden sich die USA unter Präsident Trump verändern?

Donald Trump hat seinen Wahlkampf auf Hass, Angst, Lügen und Spaltung aufgebaut. Nun muss er sich in die ruhigeren Fahrwasser der Regierungsarbeit begeben, rhetorisch abrüsten, diplomatisch für Lösungen und Kompromisse werben, auf der internationalen Bühne die Verbündeten einbinden und eine konstruktive Rolle bei der Lösung von Konflikten einnehmen.

Innenpolitisch wird es wohl eine Weile dauern, ehe sich der progressive Teil der Gesellschaft an den neuen Präsidenten gewöhnt hat, vieles wird an ihm und seinem weiteren Politikstil liegen. Beobachter glauben an seinen Realitätssinn und seine Wandlungsfähigkeit. Dies wäre dringend nötig, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Wirtschaftspolitisch ist völlig unklar, wie er die vielen Versprechen seriös gegenfinanzieren will. Steuererleichterungen für die Reichen, Infrastrukturprogramme, stark steigende Verteidigungsausgaben und explodierende Kosten für Sozialprogramme passen nicht unter einen Hut. Die angekündigte Neuverhandlung aller Handelsverträge könnte in einem Desaster enden, ohne dass auch nur ein einziger amerikanischer Job aus dem Ausland zurückgeholt werden konnte.

Die NATO-Mitglieder werden sich auf schwierige Zeiten einstellen müssen. 

Amerikanische Außenpolitik nach dem 11. September 2001 war und ist sehr stark vom Kampf gegen den Terror geprägt. Der Kriegsrhetorik von George W. Bush hat Präsident Obama mehr militärische Zurückhaltung und strategische Geduld entgegengesetzt. Die außenpolitische Agenda Trumps ist nicht wirklich zu erkennen. Wie er den Syrien-Konflikt lösen oder die Beziehungen zu Russland gestalten will, kann derzeit niemand erkennen. Die NATO-Mitglieder werden sich auf schwierige Zeiten einstellen müssen. Einstige Gewissheiten sind von Trump in Frage gestellt worden, zudem hat er mehrfach seine Forderung nach einer anderen Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses wiederholt.

 

Michael Meier ist seit 2014 Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, D.C. Zuvor war er als Landesvertreter der FES in der Türkei und diversen afrikanischen Ländern und als Leiter des Referats Westeuropa/Nordamerika in der Berliner Zentrale tätig.

Die Fragen stellte Anja Papenfuß.

 

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